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Der Unterschied zwischen Schmerz und Leid

Aktualisiert: 10. Mai 2023

Körperlichen oder seelischen Schmerz haben wir alle schon erlebt. Wir fallen, verbrennen uns, bekommen Kinder, trennen uns, verlieren einen geliebten Menschen…all das erzeugt akute Schmerzen. Es tut weh. Manchmal erleben wir solche Situation sogar sehr nah aufeinander folgend. Dann erscheinen uns manchmal Monate oder sogar Jahre unseres Lebens als sehr schmerzhaft und wir empfinden dies als ungerecht und verletzend. Um schmerzhafte Situationen kommen wir nicht herum, sie gehören zum Leben dazu.


An dieser Stelle entscheiden wir uns (meist unbewusst) für einen dieser 2 Wege, mit dem Schmerz umzugehen:


1. Entweder, wir akzeptieren den Schmerz und das Ereignis, das ihn ausgelöst hat und lassen ihn zu. Wir erlauben uns zu trauern, den Schmerz wahrzunehmen und lassen ihn so lange durch uns durch fliessen, wie es braucht und lassen ihn dann gehen.


2. Oder wir versuchen dem Schmerz so schnell wie möglich aus dem Weg zu gehen und wieder in ein „gutes“, angenehmes Gefühl zu kommen, meist aus Angst, dieses Gefühl nicht kontrollieren zu können. Wir können mit der Ungewissheit, wie sich der Schmerz dann entwickeln könnte, nicht umgehen. Wir trauen uns nicht zu, ihn komplett da sein zu lassen.


Der erste Weg, ist die Wahl mutig zu sein. Für sich selbst zu sorgen und die Wunde wahrhaftig heilen zu lassen, statt einfach ein Pflaster drüber zu kleben oder eine Pille zu nehmen, um sie nicht mehr zu fühlen. Es erfordert den Mut zu vergeben (sich selbst oder anderen), sich zu spüren, Gefühle wie Wut, Trauer, Ohnmacht zuzulassen. Sich die Zeit zu nehmen, die es braucht. Zu verstehen, welche Veränderung und Information sich hinter dem Schmerz verbirgt (Goldnugget) Aber auch Verantwortung zu übernehmen und nach dieser heilsamen Zeit wieder voll in der Gegenwart anzukommen.


Der zweite Weg, ist die Wahl für die Sicherheit. Die meisten von uns haben gelernt, das Schmerz etwas Schlechtes ist. Es ist unangenehm, und unangenehme Gefühle wollen wir so wenig haben wie möglich. Daher übergehen wir sie am liebsten. Bleiben, so viel es geht, in der vermeintlichen Kontrolle. Trotzdem wir den Schmerz nicht ganz zulassen, ist er jedoch da. Dadurch dass wir ihn jedoch nicht offen heilen lassen, zieht er sich wie Kaugummi weiter durch unser Leben. Er ist nicht richtig da, aber unterschwellig irgendwie doch. Wir denken, wir haben ihn erfolgreich hinter uns gelassen, fühlen uns aber trotzdem irgendwie bedrückt und nicht in unserer Kraft und bringen dies irgendwann nichtmal mehr miteinander in Zusammenhang. Auf körperlicher Ebene werden Schmerzen auf diese Weise häufig chronisch oder kehren immer wieder. Auf seelischer Ebene entsteht das chronische oder häufig wiederkehrende Gefühl von Unwohlsein, Unruhe, Traurigsein oder Unzufriedenheit Unter anderem aus diesem Umgang mit Schmerz, entsteht häufig Leid. Was ist Leid? Leid ist kein akuter, einer Situation umgehend zugeordneter Schmerz, sondern das Anhaften danach. Auch das haben wir alle schon erlebt. Obwohl wir die eigentlich schmerzhafte Situation schon lange hinter uns haben, erzählen wir uns oder anderen immer wieder, wie schmerzhaft sie war. Wie sehr uns etwas verletzt hat. Wie enttäuscht wir wegen etwas sind. Dies schafft uns kurzzeitig das Gefühl von Erleichterung, wir hoffen auf Mitgefühl und Verständnis vom Gegenüber, oder rechtfertigen uns damit immer wieder vor uns selbst. Was wir jedoch damit tun, ist uns immer wieder zum Opfer von dem zu machen, was uns passiert ist. Wir leiden unter Schmerzen, die (schon lange) vorbei sind.

Leid ist also ein aus der Vergangenheit wiederholter Schmerz. Ein Festhalten, Anhaften. Wir stecken z.B. viel Energie in das enttäuscht sein, dass etwas nicht so geschehen ist, wie wir es uns in unserer Erwartung ausgemalt haben. Diese Erwartung nicht loszulassen, erzeugt Leid.


Wir leiden immer dann, wenn wir an etwas festhalten wollen: An einem Menschen, am Recht haben wollen, an einer Erfahrung, an einem Gefühl. Die Wahrheit ist, du KANNST nichts festhalten, Energie (alles) fliesst. Nichts ist sicher. Nichts bleibt ewig. Der Gedanke Recht zu haben, in Sicherheit zu sein, Dinge oder Gefühle kontrollieren zu können ist reine Illusion aus denen wir uns unser eigenes Gefängnis stricken. Erst wenn du dir dessen bewusst bist und mutig genug bist loszulassen, endet dein Leid.

Aber warum machen wir das?

Im folgenden beispielhaft 2 Strategien


Strategie 1: Wir "erleiden" uns Sicherheit und Mitgefühl. Diese Strategie ist für uns die sicherste Variante. Über Jahre verteilter Schmerz fühlt sich unbewusst sicherer und erträglicher an, als ihn einmal ganz zuzulassen. Paradoxerweise wollen wir eigentlich die Kontrolle behalten, wir lassen den Schmerz latent und dosiert zu, zugleich geben wir aber Verantwortung ab, die sich für uns „zu viel“ anfühlt. So haben wir selbst das Gefühl, uns vor zu viel Schmerz zu schützen und holen uns ein "streichelndes" Mitgefühl und Zuspruch von unserem Umfeld. Vielleicht kennst du das von dir selbst. Je mehr „schlimme Geschichten“ du aus deinem Leben erzählst, desto mehr Aufmerksamkeit und Zuneigung bekommst du. Andere drücken eher mal ein Auge zu, vielleicht sogar du selbst. Manche Menschen haben diese Strategie zur Erhaltung ihres Sicherheitsgerüsts so tief verankert, dass man manchmal das Gefühl hat, sie versuchen den Wettbewerb „Wem ist am meisten Schlechtes im Leben passiert“ zu gewinnen. In meiner Jugend habe ich diese Strategie selbst viel genutzt, mit dem Wunsch nach Liebe, Aufmerksamkeit und Entlastung. Welches Ei ich mir hier selbst lege, habe ich erst viel später verstanden. Und mich dann eine Zeit lang für Strategie 2 entschieden ;) Wir behalten uns die Schmerzgeschichten gerne wie eine Art Joker, die wir unter dem Spielfeld des Lebens zur Sicherheit aufbewahren und sie immer dann ziehen können, wenn uns etwas zu viel wird oder wir uns nicht bereit fühlen, voll in die Gegenwart zurück zu kehren. Strategie 2: Toxic Positivity. Oft entsteht Leid wie weiter oben gesagt auch, indem wir die Phase der Trauer zu schnell übergehen oder sogar gar nicht zulassen. Indem wir dann krampfhaft versuchen, alles positiv zu sehen und unsere Gefühle zu kontrollieren. Auch diese Strategie hat oft etwas mit der Suche nach Liebe und Aufmerksamkeit zu tun. Auch Menschen, die auf diese Weise mit Schmerz umgehen, haben diese Überlebensstrategie häufig in ihrer Kindheit erlernt und haben den Drang, sich zu beweisen, um sich wertvoll zu fühlen. Sie antworten in Gesprächen, in denen es um den Schmerzpunkt geht oft mit „Ich weiss“ und halten mit aller Kraft das Bild aufrecht, dass sie stark und weise sind. Hier geschieht das Leiden eher, wenn man alleine ist und kann sehr belastend werden. Wir alle haben schon von Menschen gehört, die den Anschein machen, total happy oder lustig drauf zu sein und dann erfahren, dass sie eigentlich total unzufrieden sind. Wenn du sehr sensibel bist, kann dir der Umgang mit diesen Menschen sehr anstrengend vorkommen, weil du diese Inkongruenz wahrnimmst. Wie kann ich dieses Muster hinter mir lassen? Nicht zu leiden bedeutet eben auch, mutig zu sein, nicht nur den Schmerz voll anzunehmen, sondern genauso seine Kraft und Freude voll anzunehmen. Und voll in seiner Kraft und Freude zu sein, heisst unweigerlich volle Verantwortung für sich zu übernehmen. Kein Opfer seiner Umstände zu sein. Ohne Joker (Konstrukt der Sicherheit) zu spielen. Das macht uns Angst. Und das ist auch absolut verständlich. Schmerz und Leid gehören zum Leben dazu. Wir haben jedoch die Wahl, das Leiden zu unterbrechen. Wir können entscheiden, nicht zu leiden, den Schmerz anzunehmen, wenn er da ist und nicht weiter mit uns mit zu tragen. Reflektionsimpuls: Kennst du Situationen, in denen du noch an alten Geschichten festhälst? In denen du Enttäuschungen nicht loslassen oder gar verzeihen kannst? Frage dich selbst einmal: 1. Wovor schütze ich mich vielleicht, indem ich am Schmerz festhalte?

2. Kann ich durch das Wiederholen der Geschichte über den Schmerz irgendwas daran positiv verändern? Was habe ich davon? 3. Was passiert, wenn ich nicht mehr leide? (Im schlimmsten Fall/im besten Fall)?


4. Für was möchte ich mich bewusst entscheiden, wenn ich mich gegen das Leiden entscheide? Ins Leid zu gehen, ist ein Muster, das wir uns über Jahre angeeignet haben. Es ist eine Gewohnheit geworden und "passiert" irgendwann quasi automatisch. Sich dessen bewusst zu werden, ist der wichtigste Schritt, aus dem Kreislauf auszubrechen. Dann folgt die klare Entscheidung. Bin ich wirklich bereit, diese Gewohnheit abzulegen? Die Umsetzung kann sich zunächst sehr anstrengend, manchmal sogar unmöglich anfühlen. Fährst du über Jahre in der gleichen Spurrille, hat sie sich schon so vertieft, dass es schwer fällt, auf einen anderen Weg zu wechseln. Das liegt daran, dass unser Unterbewusstsein dieses Muster fest verankert hat, weil es davon ausgeht, dass du einen positiven Nutzen davon hast. Diese Information in deinem Unterbewusstsein ist jedoch meist in einer früheren Situation, oft in der frühen Kindheit, entstanden. Es ist ein altes Muster, das meist gar nicht mehr notwendig für uns ist. Hier kann z.B. Hypnose wunderbar helfen, das Unterbewusstsein auf den aktuellen Stand zu bringen. So fällt Veränderung leicht.

Wenn du mich fragst: "Warum sind manche Menschen so glücklich obwohl sie „oberflächlich gesehen“ nichts haben oder viel Schlimmes erlebt haben? Dann ist meine Antwort: Weil sie nicht an ihrem Schmerz anhaften. Weil sie mutig sind, Schmerz und Freude zuzulassen und ihnen bewusst ist, dass Sicherheit und Kontrolle eine Illusion sind. Weil sich in unterschiedlichen Gesellschaften, unterschiedliche Muster entwickeln und weitergetragen werden.


Wir erzählen uns immer, wir wollen einfach nur glücklich sein. Aber ist das wirklich so? Wir erzählen uns, dass der Schmerz uns davon abhält, glücklich zu sein. Aber ist das wirklich so? Sind wir wirklich mutig genug, glücklich zu sein? Ich glaube, genauso wie es Mut braucht, den Schmerz voll zuzulassen (Schlüssel zur Heilung), braucht es auch Mut, Freude voll zuzulassen (Schlüssel zum Glück). Bist du bereit, deine Sicherheits-Joker loszulassen? ♥️


Von Herzen, deine Sandra

Ganz wichtig! Ganz klar abzugrenzen sind an dieser Stelle Menschen, die an Depressionen „leiden“. Hier liegen weitaus mehrere Faktoren (z.B. auch genetische, hormonelle, Stoffwechsel, etc.) vor. Menschen mit Depressionen können nicht einfach „entscheiden“ ihr Leid zu beenden. Auch wenn therapeutische Maßnahmen, die oben genannte Aspekte integrieren, sehr hilfreich unterstützen können. Der Umgang und die Behandlung der Depression, ist hier von Fall zu Fall zu unterscheiden und professionelle Hilfe hinzuzuziehen.

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